Konsequenter Opferschutz (AIG 50)

Bei Häuslicher Gewalt die Härtefallpraxis nach AIG 50 garantieren

Worum geht es?

Ist das Aufenthaltsrecht einer Person an ihren Ehepartnerin gebunden, kann sie es im Falle einer Scheidung verlieren, auch wenn der Grund für die Trennung Häusliche Gewalt ist. Zwar hat die Schweiz im Jahr 2005 eine Härtefallbestimmung ins Gesetz aufgenommen, um Migrant_innen besser vor Häuslicher Gewalt zu schützen, in der Praxis wird bei Härtefallgesuchen jedoch willkürlich und oft gegen die Betroffenen entschieden. Dies, weil die Behörden einen grossen Ermessensspielraum haben, wenn es um die Einschätzung einer Situation geht. Ähnliche Fälle werden in verschiedenen Kantonen anders beurteilt und Betroffene können vom Kanton abgelehnte Härtefallgesuche nicht von weiteren Instanzen prüfen lassen.

Statt Betroffene zu schützen, stützen die aktuelle Gesetzgebung und deren Umsetzung also den Fortbestand von Gewaltehen. NGOs fordern schon lange, dass die Schweiz ihre Gesetze und deren Umsetzung diesbezüglich anpasst. Betroffene müssen die Möglichkeit erhalten, sich aus Gewaltehen zu lösen, ohne damit im gleichen Atemzug ihr Aufenthaltsrecht und das ihrer Kinder zu gefährden. Diese Forderung wird vom Expert_innengremium GREVIO gestützt, dass die Schweiz in seinem Bericht zur Umsetzung der Instanbul-Konvention (veröffentlicht am 15. November 2022) ausdrücklich ermahnt, in dieser Sache vorwärts zu machen. Mit der am 24. November 2022 startenden Vernehmlassung haben Kantone und Organisationen nun die Chance, sich klar zu positionieren und mitzuhelfen, diese Lücke im Gesetz (AIG 50) zu schliessen.

Hintergrund

Gewaltbetroffene können ein Gesuch um nachehelichen Härtefall gemäss Art. 50 Abs. 2 AIG als erstes bei den zuständigen Behörden des Wohnkantons einreichen. Bei einer Gutheissung des Gesuchs durch den Kanton wird dieses zusätzlich dem Staatssekretariat für Migration (SEM) zur Prüfung vorgelegt (Zustimmungsverfahren). Vom Wohnkanton abgelehnte Gesuche werden gar nicht erst vom SEM geprüft. Ist das Gesuch definitiv abgewiesen, werden Betroffene (und ihre Kinder) aus der Schweiz ausgewiesen. Bestimmungen gemäss Art. 50 AIG legen nicht fest, ab welchem «Schweregrad» der Gewalt das Opfer trotz Trennung zum Verbleib in der Schweiz berechtigt ist. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts hat jedoch die Bedingung aufgestellt, dass die erlittene Gewalt von einer «gewissen Intensität» sein muss. Zudem muss aufgezeigt werden, dass der Gewalttäter dem Opfer «systematische Misshandlung[en] zugefügt hat, mit dem Ziel, Macht und Kontrolle auszuüben [...]». Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass die Härtefallregelung in Art. 50  AIG nicht die erwünschte Klarheit und schliesslich nicht den von den Gesetzgeber_innen seit 2005 beabsichtigten Schutz für Opfer Häuslicher Gewalt gebracht hat. Unter anderem ist es sehr schwierig, die erlebte Gewalt beweisen zu können. Zudem wird die Härtefallbestimmung gemäss Art. 50 AIG sehr restriktiv von den Behörden angewendet, wobei es grosse kantonale Unterschiede gibt.  

Aktuell

Die Vernehmlassung zur Änderung des Gesetzesartikels startete am 24. November 2022 und dauerte bis am 15. März 2023. Die Vernehmlassung war ein grosser Erfolg, sehr viele NGOs und Kantone haben sich beteiligt. Darauf aufbauend hat die Staatspolitische Kommission des Nationalrats einen Gesetzesentwurf finalisiert. Der Bundesrat hat am 29. November dazu Stellung genommen. Er unterstützt den Entwurf im Grundsatz, befürwortet jedoch nicht, die von der Kommission vorgeschlagenen Verbesserungen bezüglich Integrationskriterien.

In der Wintersession hat sich der Nationalrat für besseren ausländerrechtlichen Schutz von Betroffenen Häuslicher Gewalt ausgesprochen. Den Minderheitsantrag der SVP bezüglich Integrationskriterien, der vom Bundesrat gestützt wurde, lehnt der Nationalrat ab. Diesem Entscheid folgte im Februar 2024 auch die Staatspolitische Kommission des Ständerats.

Am 28. Februar spricht sich der Ständerat für eine Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes aus. Ein riesiger Schritt im Kampf gegen Häusliche Gewalt und für besseren Opferschutz! Aber: Der Ständerat verschlechtert mit seinen Entscheidungen die Vorlage massgeblich. Jetzt hoffen wir darauf, dass dies im Differenzbereinigungsverfahren vom Parlament korrigiert wird!