
«Diese Arbeit ist mehr als Empowerment – sie ist Widerstand»
Unsere Empowerment-Workshops bieten Frauengruppen einen geschützten Raum, um sich über frauenspezifische Themen auszutauschen und Wissen zu teilen. Im Fokus stehen die Rechte von Frauen in der Schweiz, konkrete Unterstützungsmöglichkeiten sowie Handlungsmöglichkeiten bei Diskriminierung und Gewalt. Die Workshops werden gemeinsam mit sogenannten Schlüsselpersonen durchgeführt, die eng mit der Projektleitung zusammenarbeiten – wie zum Beispiel Safiyo.
Migrantische und geflüchtete Frauen leisten tagtäglich feministische und politische Arbeit – oft unsichtbar, oft mehrfach diskriminiert. In unseren Empowerment-Workshops schaffen sie Räume der Selbstermächtigung, des Austauschs und der Solidarität. Diese Communityarbeit ist mehr als Empowerment – sie ist Widerstand gegen strukturellen Rassismus und Sexismus.
Im Hinblick auf den Feministischen Streiktag haben wir die Schlüsselperson Safiyo nach ihren Forderungen, den Herausforderungen migrantischer Personen im Schweizer Alltag und ihrer Motivation fürs Workshop-Projekt befragt. .
Was hat dich motiviert, Teil des Empowerment-Workshops/eine Schlüsselperson zu werden?
Safiyo: Durch meine Tätigkeit als Dolmetscherin habe ich gesehen, dass viele Frauen Gewalt erleben, weil sie keine Informationen haben. Ich wollte sie aus ihrer Komfortzone holen und ihnen diesen Zugang geben. Das hat viel bewirkt bei den Frauen, die mit uns die Workshops machen. Sie haben mir gesagt, «du hast uns die Augen geöffnet».
Was hat sich durch das Projekt für dich verändert – oder auch für deine Gruppe?
Für meine Gruppe hat sich Vieles verändert – zum Positiven. Wir hatten beispielsweise einen Workshop zum Thema Arbeit und Integration in der Schweiz, wo wir gemeinsam mit einer Fachperson angeschaut haben: Welche Bewilligungen gibt es und was sind meine Rechte und Möglichkeiten als Frau? Besonders für alleinerziehende Mütter konnten Perspektiven aufgezeigt werden. Viele waren danach sehr motiviert und begannen Stellen zu suchen, einige konnten unterstützende (Integrations-)Programme beginnen. Das war sehr schön zu sehen.
Und für dich persönlich?
Auch ich habe viel gelernt durch diese Empowerment-Arbeit. Ich schaue mehr auf mich selbst. Nur weil ich eine Frau bin, darf ich nicht benachteiligt werden. Ich weiss, dass ich vieles machen kann. Meine Tätigkeit als Schlüsselperson hat einen sehr positiven Einfluss auf mich gehabt.
Wissen ist der erste Schritt zur Selbstbestimmung
Warum braucht es deiner Meinung nach solche Projekte wie den Empowerment-Workshop von Brava?
Im Kern geht es um den Zugang zu Wissen. Durch das Workshop Projekt machen wir diese Informationen zu Rechten, Angebote und Möglichkeiten in der jeweiligen Muttersprache zugänglich. Mit diesem Wissen können sich die Teilnehmerinnen selbst helfen, Entscheidungen treffen, und sich gegenseitig unterstützen. Das Projekt hat wirklich vieles bewirkt bei den Frauen in der Gruppe.
Was findest du besonders wichtig hervorzuheben beim Projekt Workshop?
Es ist ein Projekt von migrantischen Frauen für migrantische Frauen. Ich bin eine Vertrauensperson für die Frauen in der Gruppe, spreche dieselbe Sprache und kenne die Kultur. Die Workshops sind ein Raum, wo die Teilnehmerinnen das Gefühl bekommen, ich werde ernst genommen und gehört, ich bin wichtig und es sind Menschen da, die mich unterstützen und die für mich kämpfen.

Herausforderungen und Diskriminierung im Alltag
Welche spezifischen Herausforderungen erleben migrantische Frauen im Alltag in der Schweiz?
Diskriminierung aufgrund von Religion, Aussehen und auch einfach Frausein. Wenn eine migrantische Frau ohne genügend sprachliche Kenntnisse an einem Ort ankommt, wird sie oft nicht ernst genommen. Oft kennt sie ihre Rechte nicht und aufgrund des Wissensmangels wird sie ausgenutzt oder übergangen – bei Ämtern, im Gesundheitswesen oder bei der Schule der Kinder. Ich habe bei meiner Tätigkeit als Dolmetscherin viele solche Situationen beobachtet. Rassistische und sexistische Diskriminierung findet überall statt, auch auf der Strasse oder in der Nachbarschaft. Besonders auch bei Frauen, die ein Kopftuch tragen.
Wenn eine migrantische Frau ohne genügend sprachliche Kenntnisse an einem Ort ankommt, wird sie oft nicht ernst genommen.
Gibt es Barrieren (z. B. sprachlich, strukturell), die euch davon abhalten, aktiv am Feministischen Streik teilzunehmen?
Ja, es gibt bestimmt sprachliche oder auch kulturelle Barrieren. Auch alltägliche Situationen wie fehlende Kinderbetreuung stellen Hürden dar. Oft ist es aber auch der Fakt, dass sie nicht wissen, dass es diesen feministischen Streik gibt und sie teilnehmen könnten.
«Wir wollen teilhaben – und ernst genommen werden»
Was fordert ihr konkret von Behörden, Politik oder auch von feministischen Bewegungen in der Schweiz?
Wir möchten, dass die Behörden und die Politik uns zuhören und unsere Anliegen ernst nehmen. Ein Beispiel ist die Forderung nach kostenloser Verhütung. Viele Frauen können sich diese nicht leisten, wenn sie nicht Sozialhilfebezügerinnen sind. Oder auch mehr Unterstützung bei der Integration von Frauen, damit sie die Sprache lernen können, eine Arbeit finden, ihre Rechte kennen, und so auch weniger abhängig von ihrem Ehemann sind.
Welche Anliegen möchtest du – oder ihr als Gruppe – am Streik sichtbar machen?
Dass wir als migrantische Frauen an der Gesellschaft teilhaben möchten und unsere Anliegen gehört werden. Und wir die Unterstützung erhalten, damit sich unsere Situation verbessert.
Wird die Vielfalt von Lebensrealitäten migrantischer Frauen in feministischen Bewegungen genügend anerkannt?
Nein. Es gibt ganz spezifische Themen und Schwierigkeiten, die migrantische und geflüchtete Frauen in der Schweiz betreffen und diese sind oft nicht oder zu wenig vertreten.
Mehr Räume – online und offline
Wie erlebst du die Sichtbarkeit migrantischer und geflüchteter Frauen in der Schweizer Politik? Wie erlebst du sie am feministischen Streik?
Migrantische und geflüchtete Frauen sind zwar in der Politik vertreten, aber nur sehr wenige. Am Feministischen Streik sehe ich vor allem Plakate und Forderungen, die allgemeine Anliegen von Frauen ansprechen, nicht aber spezifisch jene von migrantischen oder geflüchteten Frauen.

Welche Räume oder Plattformen fehlen deiner Meinung nach, damit migrantische Frauen sich einbringen können?
Es braucht zugängliche Räume, wo migrantische und geflüchtete Frauen ihre Anliegen auf den Tisch legen können, bspw. mehr feministische Büros oder Anlaufstellen in verschiedenen Kantonen. Und ich würde mir auch wünschen, dass auf den Social Media Plattformen mehr Aufmerksamkeit für unsere Anliegen besteht, damit auch mehr Personen davon erfahren.
Mehr zum Workshop-Projekt gibt's hier.