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Von 100 nur 4

Die Schweiz hat ein Problem mit Sexualisierter Gewalt. Dies zeigt die heute veröffentlichte Kriminalstatistik (PKS). Im Jahr 2023 wurden laut Polizei 1’371 Frauen vergewaltigt. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Enorme Dunkelziffern und geringe Verurteilungsraten entlarven ein System, das Sexualisierte Gewalt begünstigt und «Gerechtigkeit» verunmöglicht.  

Kämen alle Frauen* an einem Ort zusammen, die laut Polizei 2023 in der Schweiz vergewaltigt** wurden, würden sie ein ganzes Dorf bevölkern, zum Beispiel Erlach.  

Doch die Wahrheit ist viel gravierender. Wird heute eine Frau in der Schweiz vergewaltigt, erstattet sie höchstwahrscheinlich keine Anzeige. Laut einer Erhebung von 2022 melden sich acht von zehn Frauen nicht bei der Polizei. Das heisst, wir müssen nicht von 1’371 Betroffenen sprechen, sondern von rund 11’100. Statt von einem Dorf wie Erlach, also von einer Kleinstadt in der Grösse von Lenzburg. Unsere Hochrechnung zeigt auf, was die Zahlen der PKS nicht erzählen: In der Schweiz werden täglich 30 Frauen Opfer massiver Sexualisierter Gewalt. Unsere Strukturen führen dazu, dass Betroffene Vergewaltigungen nicht anzeigen und Sexualstraftaten nur selten verurteilt werden.

Scham, Schuldgefühle und Angst 

Viele Betroffene sehen aus Scham, Schuldgefühlen oder aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird von einer Anzeige ab. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die meisten Tatpersonen aus dem nahen Umfeld der Geschädigten stammen. Laut einer Erhebung von 2022 kannten nur 8.4 Prozent die Tatperson nicht. Bei 38.6 Prozent war es der_die Partner_in oder Ex-Partner_in. So sind sich Betroffene oft unsicher, ob sie überhaupt Anzeige erstatten können. Dass es sich bei Sexualisierter Gewalt um einen massiven, gewaltvollen Eingriff in die Intimsphäre eines Menschen handelt, trägt weiter zur geringen Anzeigerate bei. Vielen Betroffenen fällt es schwer, über das Erlebte zu sprechen. In der Gleichung zwischen Selbstschutz und Recht überwiegt die Angst vor einer Retraumatisierung. Auch das Wissen darum, dass nur die wenigsten Vergewaltiger auch tatsächlich verurteilt werden, trägt zur geringen Anzeigerate bei. 

Von 100 nur 4 

Hat sich eine Betroffene Person zu einer Anzeige durchgerungen, bedeutet das noch lange nicht, dass es zu einer Verurteilung kommt. Es kann davon ausgegangen werden, dass von hundert Frauen nur vier ihren Vergewaltiger verurteilt sehen. Warum ist das so? 

Nach einer Anzeige kommt es nicht zwingend auch zu einer Verhandlung. Es kann sein, dass die Staatsanwaltschaft bei geringer Beweislast Betroffenen von einem Strafprozess abrät, oder sich Geschädigte selbst zurückziehen, da sie die Energie und die finanziellen Ressourcen für einen Prozess nicht aufbringen können.  

Kommt es zum Prozess, mangelt es bei Sexualdelikten oft an Beweisen. Vielerorts wird eine professionelle Spurensicherung nur gemacht, wenn die geschädigte Person Anzeige erstattet. Entscheidet sich die Betroffene erst später für eine Anzeige, wurden wichtige Beweise nicht gesichert und sie können für das Verfahren nicht beigezogen werden. (Schweizweite Krisenzentren*** sollen hier zeitnah Abhilfe schaffen).

Fehlen die Beweise, steht oft Aussage gegen Aussage und das Gericht entscheidet «in dubio pro reo» also im Zweifel für den Angeklagten. 

Das braucht es 

Von 100 nur 4 – diese Zahlen rütteln auf. Aber sie zeigen uns auch, wo das System krankt und wo es Frauen und insbesondere Betroffene von Sexualisierter Gewalt seit jeher alleine lässt. Die Einführung des neuen Sexualstrafrechts am 1. Juli 2024 ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Was es für eine nachhaltige Veränderung und die Bekämpfung Sexualisierter Gewalt weiter braucht:

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* Männer können momentan per Gesetz nicht vergewaltigt werden. Für sie wird ausschliesslich der Straftatbestand der Sexuellen Nötigung angewandt (das soll sich mit dem neuen Sexualstrafrecht ab 1. Juli ändern). Die Hellfeld-Zahlen sprechen eine klare Sprache: 2023 sind 98 Prozent der Beschuldigten in Fällen von Vergewaltigung und sexueller Nötigung Männer, während 92 Prozent der Opfer Frauen sind. 

Die Polizeiliche Kriminalstatistik, die uns als Grundlage für diese Berechnungen dient, erfasst bisher nur zwei Geschlechter. Auch die anderen Befragungen und Quellen sind auf das binäre Geschlechtermodell ausgelegt. Zur Betroffenheit von nicht binären, intergeschlechtlichen und trans Menschen geben die Daten keinen Aufschluss.

** Unter «Vergewaltigung» fassen wir die Straftaten «Vergewaltigung» und «sexuelle Nötigung» zusammen, wie dies auch umgangssprachlich Usus ist. Per Gesetz gilt in der Schweiz nur das erzwungene Eindringen mit dem Penis in die Scheide als Vergewaltigung. Das Eindringen in die Scheide mit einem Gegenstand oder Finger, das Eindringen in After oder Mund mit einem Gegenstand, Finger oder Penis wird sexuelle Nötigung genannt. Beide Delikte werden juristisch gleich behandelt. 

*** Krisenzentren bei Sexualisierter, Häuslicher und Geschlechtsbezogener Gewalt sollen sicherstellen, dass Gewaltbetroffene spezialisierte medizinische und psychologische Soforthilfe sowie eine professionelle Dokumentation und Spurensicherung in Anspruch nehmen können, ohne dass die Polizei zugezogen wird. Bund und Kantone beschäftigen sich momentan mit der flächendeckenden Umsetzung. In Bern ist ein solches Krisenzentrum bereits Realität.